Sonntag, 12. Februar 2012

College is the new black

Die USA erleben ein zweites Norwegen. Der einstmals anrüchige Black Metal, so tief verwurzelt in einer bizarren Historie voller Blut, Mord und Kirchenbrände wird salonfähig. Der Ablauf kommt einem seltsam vertraut vor, nur, dass der Indie-Rock durch den Black Metal und das College-Radio durch das Internet ersetzt wird. So eignen sich diverse Youngsters die strukturelle Grundkonstruktion des BM-Sounds an und transferieren ihn in einen anderen Kontext. "Wie, was" grummelt es aus der Traditionalisten-Ecke, "BM ohne Satanismus, heute-nacht-passierts-Lyrics und s/w-Clowns?" Unmöglich? 

Nein, ein längst überfälliger Befreiungsschlag, wie man mit Genugtuung in den Kommentargefechten der einschlägigen Videos feststellen kann. Von "gay" bis "screamo" reichen die pikierten Vorwürfe der wertkonservativen Hörerschaft und man sieht quasi den schäumenden, übergewichtigen BM-Fan in seiner postpubertären-Phase - der allerdings beim Release eines legendären Albums wie A Blaze in the Northern Sky noch das alkoholverzerrte Grinsen seiner Mutter auf der außer Kontrolle geratenen Abi-Feier war. 

Vorreiter dieser Entwicklung waren neben den Pionieren Satyricon vorallem Wolves in the Throne Room, die von den Hardlinern noch akzeptiert wurden, griffen sie doch gekonnt das auf, was man bereits vom ersten Album der Norweger In The Woods gewürzt mit etwas Burzum kannte. In der Zwischenzeit konnte sich auch die Indie-Journaille mit den extremenen Auswüchsen des Metal anfreunden, nachdem sie in den 90ern noch unglaubig den Kopf schüttelten.

Doch auch der Indie braucht neue Helden, sind die wichtigen Protragonisten doch inzwischen zu fett, zu alt und zu konsens geworden. Was ist noch Indie an Bands, die im Feuilleton und den Charts abgefeiert werden? Etwas Neues muss also her und der extreme Metal scheiterte bislang immer noch an den Hürden des Mainstream - eine natürliche Abgrenzung, ganz nach dem Geschmack des den Massenkonsum verachtenden Spex-Zeilenschinders. Wolves in the Throne Room gelangten in das Visir der Indie-Presse und wurden von Seiten wie pitchfork.com bejubelte und gehypt - ein guter Nährboden für eine neue Generation des durch den Begriff Post Black Metal geadelten Sounds, damit also die nunmehr dritte Welle des Black Metal. Oder um es in die üblichen Metal-Akronyme zu übersetzen: Die NWOUSBM.

Liturgy waren die nächsten: Jung, hip, philosophisch und so ganz ohne Schmuddel und Satans-Image. Der Post-BM trägt endlich Früchte und schon schießen sie wie Pilze aus dem Boden, die neuen Hoffnungsträger. Next stop: Deafheaven. Sehen nicht nach Black Metal aus, machen aber Krach wie Emperor zu ihren unprogressiven-Zeiten, minus Keyboard. 

Wo führt das hin? Ich fürchte tatsächlich in eine größere Popularität und anschließend in die Übersättigung, auch wenn bislang noch viele spannende Sachen passieren. Zumal die alte Hure Black Metal nach über 30 Jahren eine Frischzellenkur verdient hat. Dass diese Metal-Spielart nach drei Jahrzehnten immer noch junge Musiker begeistern kann, zeigt aber auch, dass in diesem Genre mehr steckt, als norwegische Pandabären mit Bihänderfetisch. The pagan winter continues ...

Samstag, 4. Februar 2012

Das schlaucht

Der kernigste Dreitagebart der Videospielgeschichte
Der "interaktive Film" war eine gräßliche Idee in den 90ern, die still und heimlich in den letzten zehn Jahren realisiert wurde. Modern Warfare oder die Uncharted-Reihe sind gute Beispiele dafür: Cutscene über Cutscene, verbunden durch Schlauch-Level, die Freiheit suggerieren, den Spieler jedoch wie ein Vater den dirilierenden Sohn durch den Spielzeugladen bugsieren: Soviele schöne Dinge, soviele atemberaubende Kulissen und doch erhaschen wir nur einen Ausschnitt. Auch Uncharted 3 arbeitet mit einem Potemkinschen Dorf: Alles eine herrliche Kulisse. Stößt man jedoch gegen eine Wand, glaubt man dahinter die Umkleidekabinen für die zahlreichen Schurken zu sehen. Die müssen sich einen Anzug mit fünf anderen teilen - es gibt zu wenig Klamotten für die Horden an Gegnern.

Immer auf Distanz halten
Klettern, Ballern, Klettern: Die Dynamik ist vorhersehbar
Doch vielleicht ist das genau der Grund, warum die Uncharted-Reihe so wunderbar funktioniert. Nichts wird hier hyperrealistisch dargestellt und doch ist es die Liebe für Details, die einen oft innehalten lässt, um etwas  zu bestaunen oder näher zu betrachten. Ein Gemälde, ein schöner Bach, eine Statue. Auch die Figuren weisen diese Freude an der Detailarbeit auf: Der junge Nate stolpert und ist aufgedreht, er schaut sich ständig um, tascht alles mit seinen Händen an. Ein typischer Pubertierender, der bereits die Macken seines Erwachsenen-Ichs in sich trägt. Man merkt den Autoren an, dass sie ihre Charaktere lieben und sie möglichst lebensecht gestalten möchten. Unser Protagonist kommentiert konstant das Geschehen, ist am Schnaufen, Fluchen, Stöhnen. Das gibt die nötig Farbe, erschafft zwar Distanz zum Spieler, doch entsteht ein cineastisches Feeling: Man steuert seinen Helden durch einen vorgefertigen Plot und freut sich über die vielen Einfälle. Der Mangel an spielerischer Freiheit kann ein mehr an Konzentration bedeuten. Wer zudem ein Gamer-Publikum mit einem literarischen Schwergewicht wie D. H. Lawrence konfrontiert, kann sich beim abendlichen Whiskey-Schwenken beruhigt in den Ohrensessel sinken lassen in dem Wissen, man habe zur Kulturbildung der Jugend einen bescheidenen Beitrag geleistet.

Folge dem Licht
Kein schöner Land: Uncharted 3 macht Lust auf Reisen
Eindrucksvoll beweist Uncharted 3, dass es eben doch auch filmische Tugenden gibt, die für Games gelten: Die Lichtsetzung ist geschickt, subtil und ausgeklügelt. Hellere Stellen weisen den Weg, dazwischen wird mittels Chiaroscuro eine plastische und glaubhafte Welt dargestellt - der Begriff Rembrandt Lighting ist auch den Designern von Naughty Dog nicht fremd. Sicher, das alles ist von überschaubarer Dauer und bewirkt das schwindlige Gefühl einer in voller Lautstärke konsumierten Slayer-Platte: Sehr heftig, sehr laut, sehr kurz. Aber das stört den Eskapisten nicht, der sich noch einmal in dieser oder jenen Ecke umschaut, um noch den letzten Schatz zu entdecken oder sich das schöne Chateau anzuschauen - Form over Matter. Uncharted 3 empfiehlt sich somit als eine der schönsten Reisen für Game-Touristen.